Page 8 - Wolfgang A. Gogolin: Als Jesus aus den Wolken fiel
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»Raik, siehst du das?«, fragte Bauer Hanke Harms seinen Freund, der
            die  Augen  geschlossen  hielt  und  versuchte,  sich keinesfalls  zu  bewe-
            gen. Zwei träge Fliegen umschwirrten das Duo, das sich eine Holzbank
            teilte, die direkt auf dem Deich stand. Bis eben hatten die beiden noch
            geschwiegen. Sie wollten den arbeitsreichen Tag und die nicht minder
            belastete Woche hinter sich lassen und den Gedanken Stille schenken.
            Freitag. Durchatmen. Wochenende. Vier ausgestreckte Beine in Gummi-
            stiefeln zeigten in Richtung Wasser. Zwei davon in Natogrün, die anderen
            in Schwarz. Nur noch ein Viertelstündchen, dann würde Peter Bruns sei-
            nen Gasthof aufschließen und für sie den Zapfhahn öffnen. Mit einem
            Panoramablick auf Schlick, Möwen und Seetang sowie im Rücken das
            »Lütt Hüs« hatten die beiden eine perfekte Position eingenommen.
             »Was?« Der Fischer Raik Deters ließ die Augen weiterhin in Ruheposition.
             »Na, das da.« Ostwind zerstob die Frisur des Bauern und spielte mit
            dem rotblonden Schopf. Mit dem Haar des Fischers spielte niemand, es
            war unter einer blauen Strickmütze verborgen.
             »Was?«, knurrte er abermals.
             »DAS!«
             »Geht’s noch?« Zwei Worte, wohl gewählt, mit denen der Fischer Raik
            Deters alles mit einem Fragezeichen versah, was ihm soeben in die Ohren
            gekippt worden war. Übersetzt: Wenn ich wüsste, was du meinst, Hanke
            Harms, würde ich nicht fragen. Wenn ich ahnen würde, was du willst,
            gäbe es eine Antwort. Und wenn du mich nicht gleich in Ruhe lässt, dann
            Sag–ich–noch–mal–einen–Ton–dazu. So viel Inhalt mit so wenigen Wör-
            tern, eine Meisterschaft des Minimalismus.
             Die natogrünen Gummistiefel des Bauern Harms ratschten über den
            Boden. Er richtete sich auf. Ende mit der Entspannung unter Freunden.
            Sein  Blick  sagte  alles,  was er in der Bauernvereinigung  aufgeschnappt
            hatte: Fischer blieben Fischer. Da war nichts zu holen. In jedem Fall einem Land-
            wirt unterlegen – eine alte Bauernregel. Wer den ganzen Tag mit dem Kopf  im
            Wasser hing und so roch, als hätte er bereits Gevatter Tod gesehen, der stand nun
            mal eine Stufe unter Ackermännern, die nach frischer Landluft und blühenden Fel-
            dern dufteten. Bauern waren geerdete Kultivierungsbeauftragte und wichtige Erzeu-
            ger von Daseinsgütern. Also wichtig. Sehr wichtig. Hanke Harms nickte nicht
            nur innerlich, sondern auch äußerlich. So isses.
             Raik Deters bemerkte die plötzliche Pause und hob das rechte Augenlid.
             »Warum nickst du und antwortest  nicht,  Gülleknecht?«  Der Fischer


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