Page 10 - Eva Holzmair: Der Verdrüssliche (Leseprobe)
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- Na ja, auch Museen müssen sich immer wieder neu
erfinden. Übrigens, seit wann sind denn die nicht mehr im
Unteren Belvedere?
Carola deutet auf die Statuen. Herr Dr. Vitochyl senkt
den Kopf und zählt an den Fingern etwas ab. Jahre? Ereig-
nisse? Das begleitende Gemurmel ist zu leise, um erken-
nen zu lassen, wie er sich ans Datum herantastet. Als er bei
sechs angelangt ist, betrachtet er nachdenklich den hoch-
gereckten Daumen.
- Anfang 2008. Richtig. Damals wurden die zwei Stand-
bilder ins Obere Belvedere verbracht.
Was, so lange ist Carola nicht mehr hier gewesen? Genau
zu der Zeit ging der Verdrüssliche nach Los Angeles. Zufall?
Ja! Aber ein eigenartiger. Von den Akteuren sicher nicht
bedacht. Bloß kein Aufsehen, alles schön glatt über die
Bühne bringen. Ohne ihr morgendliches Stöbern im Netz
wäre Carola nach wie vor ahnungslos. Keine einzige Zei-
tung hat damals den Verkauf vermeldet. Vor vier Jahren
wäre ihr das nicht entgangen. Da war sie noch gesund.
- Kann ich sonst mit etwas dienen?
Freundlich schaut sie der ehemalige Kurator an.
- Danke, ich will Sie nicht weiter aufhalten. Ich hab ja
meinen Aktenordner.
Carola hält ihr Tablet hoch. Herr Dr. Vitochyl nickt
anerkennend.
- So ist’s recht. Hat mich g’freut.
- Mich auch.
- Servus, Frau Hofrat.
- Auf Wiedersehen, Herr Doktor.
Carola blickt dem davoneilenden Mann nach. Rennt,
als ob er silberne Löffel gestohlen hätte. Von Vitochyls
Energiereserven würde Carola gerne einige Liter abzapfen.
Damit könnte sie anders an ihre Recherchen herangehen.
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