Page 9 - Eva Holzmair: Der Verdrüssliche (Leseprobe)
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tet, neue Sichtweisen eröffnet und so manches emotionale
Chaos geklärt. Es gibt immer einen Weg. Doch was erwar-
tet sie dort, wo er aufhört? Zweifelt sie nun nicht genauso
an der Sinnhaftigkeit ihres Tuns, wie es Maria Theresia
gegen Ende ihrer Regentschaft tat? Die alte Kaiserin hatte
wenigstens ihren Glauben. Sie war reaktionär, intolerant,
aber gefestigt. Kreuzkatholisch eben. Und Carola? Woran
kann sie sich halten? An den erkenntnisreichen Rückblick
vorm endgültigen Exit? Den kann sie vergessen. Sie muss
froh sein, wenn sie palliativ sediert die richtige Kurve
nimmt, nicht wieder aufwacht. Nur das nicht!
Davor will sie noch einmal tätig werden. Schwaches
Fleisch, williger Geist. Ihr Gedächtnis ist trainiert. Nur
manchmal diese blinden Flecken, die verunsichern. Ach
was! Es geht um den Überblick, nicht ums Detail. Sehr
richtig! Und was sie nicht im Kopf hat, findet sie im Tab-
let, ihrem ausgelagerten Wissensdepot. Praktisch und viel
handlicher als die dicke Aktentasche, die sie in ihrer aktiven
Zeit zu Besprechungen und Begehungen schleppte.
- Meine Verehrung, Frau Hofrat! Auch wieder einmal
hier?
Der alte Vitochyl! Ein verhutzeltes Männlein, aber agil.
Beneidenswert flott bewegt er sich auf Carola zu.
- Grüß Sie, Herr Doktor! Ich schau nach, was sich so
getan hat. Und Sie?
- Ich besuch meinen Enkel.
- Ihr Nachfolger in der Mittelalter-Sammlung?
- Geh, der und kuratieren! Er macht’s Catering. So was
wie a besserer Oberkellner is’ er, aber das darf i vor seiner
Mutter net sagen. Schließlich wieselt er einmal hinter einem
Ölscheich her, der den Schlossgarten für a Hochzeit gemie-
tet hat, ein anderes Mal hinter der Direktorin, die Sponso-
ren zu einem Event begrüßt. Event, wenn i das schon hör!
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