Page 14 - Renate Zawrel: Zuckerwatte und Christbaumherz
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pflügst – David ist nicht hier. Wir gehen jetzt höchstens noch zu
diesem Kitschbaum.«
»Sag nicht Kitschbaum!«, widersprach Martha. Und dann brach es aus
ihr heraus: »Du hast ja keine Ahnung, wie es in deinem Sohn
Urheberrechtlich geschütztes Material
aussieht. Weißt du, dass er von dir weg will, damit du dir nicht ständig
deine ›ach so vielen Gewissensbisse‹ machen musst, weil du mal
wieder keine Zeit für ihn hast? Weißt du, dass David glaubt, du
hättest ihn nicht lieb? Weißt du, dass er sich nichts sehnlicher
wünscht als eine Mutter? Er klammert sich an jede Möglichkeit, die
ihm eine heile Welt verspricht und die Hoffnung gibt, dass alles gut
wird. Und du … du denkst nur an deine Geschäfte, dein
Privatvergnügen und was weiß ich noch.«
Marthas geringschätzige Handgeste besagte mehr als Worte. Aber es
hatte einmal ausgesprochen werden müssen!
Daniel trafen ihre Vorwürfe wie Schläge. »Woher … ich meine … wie
willst du das wissen?«, stammelte er.
»David hat es mir gesagt. Gestern Abend«, gab Martha zurück. »Auch
deshalb mache ich mir Sorgen um das Kind. Vielleicht hat es sich
etwas angetan.« Sie hatte sie benannt, die große Furcht, die sie
umtrieb! War sie eben noch außer sich gewesen und hatte ›Dampf
abgelassen‹, jetzt zerbrach Marthas angeschlagenes Nervenkostüm.
Ihre schmalen Schultern bebten, sie wurde von einem Weinkrampf
geschüttelt.
Daniel umfing Martha wortlos, hielt sie einfach nur fest, ließ sie
weinen. Er begriff in aller Deutlichkeit, welch einschneidende Fehler
er in der Vergangenheit gemacht hatte. Was geschehen war, konnte er
nicht mehr ändern, doch künftig würde er … Ach, er wusste es nicht!
Die augenblickliche Situation überforderte auch seine seelischen
Kräfte.
Wo konnte David nur sein? Die Vorstellung, dass sein Sohn einfach
davongelaufen und ihm vielleicht Schreckliches widerfahren war …
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