Page 10 - Rainer Güllich: Drei Morde – Ein Marburg- Krimi
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Mir ist das egal. Ich lasse mich nicht abwimmeln.«
             Almut kniff die Lippen zusammen. »Dir ist das wirklich wichtig,
           das sehe ich. Plane mal, dass du in drei Wochen fahren kannst. Ich
           denke, bis dahin haben wir das so weit gemanagt, dass die Praxis
           ohne dich laufen wird. Wäre mein Vorschlag. Komm her, Schatz,
           lass dich umarmen.«
             Sie stand auf, umarmte Iris, die ebenfalls aufgestanden war.

           Almut sah die Angelegenheit mit Iris’ Vater eher skeptisch. Sie hat-
           te ähnliche Erfahrungen mit ihrem Vater gemacht. Almut glaubte
           nicht wie Iris, dass die Distanz, die manche Väter zu ihren Kindern
           an den Tag legten, an deren Beruf lag. Sie waren bedingt durch ihre
           Tätigkeit eben abwesend, die Ehefrauen erledigten den großen Be-
           reich, der mit Kindergarten und Schule zu tun hatte. Als Almut in
           den Kindergarten und in die Schule kam, war ihr Vater nicht dabei.
           Ihre Mutter hatte das alles auf die Reihe bringen müssen und war
           zugleich die engste Bezugsperson von Almut gewesen. Ihr Vater
           war Justizbeamter, hatte also sehr humane Arbeitszeiten, am Wo-
           chenende immer frei und kaum Zeit für Almut gehabt. Sie fühlte
           sich jedenfalls von ihrem Vater nicht geliebt, ging auf Distanz und
           lief seiner Liebe nicht hinterher. Sie wusste nicht mehr genau, wann
           das gewesen war. Wahrscheinlich war es ein schleichender Prozess
           gewesen, der irgendwann erledigt war. Der Bruch kam, als Almut
           sich vor ihren Eltern als lesbisch geoutet hatte. Ihr Vater reagierte
           aggressiv, beschimpfte sie. Sie würde Schande über die Familie brin-
           gen, er wolle sie nicht mehr im Haus haben. Ihre Mutter weinte nur.
           Wahrscheinlich war sie aber nur verzweifelt, weil ihr Mann so heftig
           reagierte. Wie Almut ihre Mutter einschätzte, konnte sie die sexuelle
           Ausrichtung ihrer Tochter akzeptieren, konnte das aber nicht äu-
           ßern. Sie hätte sich nie gegen ihren Mann gestellt. Das war aber ge-
           nau das, was Almut ihr vorwarf. Dass ihr Lesbischsein ihren Eltern
           nicht gefallen würde, war ihr klar gewesen, doch dass ihr Vater sie
           nicht mehr im Haus haben wollte, hätte sie nicht gedacht. Er
           blieb dabei. Und sie war ausgezogen. Mit der Ausbildung war
           sie fertig, sie war als Physiotherapeutin angestellt, konnte ihren

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