Page 9 - Rainer Güllich: Drei Morde – Ein Marburg- Krimi
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Das Verhältnis zu meinem Vater belastet mich auf Dauer zu sehr.«
Almut seufzte. Sie strich eine Strähne ihrer roten Haare aus der
Stirn. Tja, sie kannte die Geschichte. Iris Mutter war vor acht Jahren
an Brustkrebs gestorben. Die damals achtzehnjährige Iris hatte ihre
Mutter allein während des Sterbeprozesses begleitet. Ihr Vater war
mit der Situation nicht zurechtgekommen und stürzte sich in seine
Arbeit. Er war als Kriminalbeamter tätig, an seiner Arbeitsstelle gab
es immer viel zu tun.
Iris überfordert mit der Situation, holte sich Hilfe bei der Anne-
liese-Pohl-Stiftung, der Krebsberatungsstelle in Marburg. Sie führte
dort Gespräche mit einer Psychologin, was ihr half. Iris war damals
gerade mit der Schule fertig geworden, ihre Leistungen verschlech-
terten sich erheblich. Sie legte nur ein durchschnittliches Abitur hin.
Da war es natürlich nichts mit dem geplanten Medizinstudium. Das
Ende vom Lied sah so aus, dass Iris eine Ausbildung zur Physiothe-
rapeutin an einer Fachschule in Leer machte. Sie wollte unbedingt
von ihrem Vater fort, deshalb der Umzug in den Norden nach Leer.
Sie war nach der Ausbildung nach Wilhelmshaven gezogen und
nahm dort eine Stelle als Physiotherapeutin in einer Praxis an. Hier
lernten sich Iris und Almut kennen.
Mit ihrem Vater telefonierte Iris vielleicht drei- bis viermal im Jahr
und besuchte ihn zu Weihnachten. So war es bis heute geblieben.
Deshalb war Almut überrascht, dass Iris ihren Vater besuchen woll-
te.
Wenn Iris jetzt in der Praxis ausfiel, war es schwierig, die zurzeit
anfallenden Termine der Patienten aufrecht zu erhalten. Wenn Iris
mit ihrem Besuch noch etwas wartete, würde es gehen.
Almut hatte vor drei Jahren ein Wohnhaus und einiges an Geld
von einer Tante geerbt. Sie hatte das Wohnhaus umbauen lassen. Im
Untergeschoss befand sich die Physiotherapiepraxis und im Ober-
geschoss lebte Almut mit ihrer Lebensgefährtin Iris.
»Dein Vater wird überrascht sein. Meinst du, er wird mit einem
längeren Besuch einverstanden sein?«
»Natürlich wird er überrascht sein. Er wird sicher erst abwehren.
Er wird erzählen, dass er keine Zeit wegen eines wichtigen Falls hat.
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