Page 5 - Rainer Güllich: Drei Morde – Ein Marburg- Krimi
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Prolog

            Anna Krämer ließ ihren Putzwagen stehen und schaute vorsichts-
            halber auf ihre Uhr. Es war Punkt zwölf Uhr, das hieß, dass sie das
            Büro von Margot Haupt betreten konnte. Käme sie zu früh oder
            zu spät, würde das Ärger bedeuten. Die Leiterin des Altenheims
            verstand keinen Spaß. Sie war ziemlich pingelig und meist schlechter
            Laune. Ihre Untergebenen durften das dann ausbaden.
              Die Chefin hatte ihr gesagt, sie könne ihr Büro zwischen zwölf
            und zwölf Uhr fünfundvierzig putzen. Meist war Margot Haupt um
            zwölf verschwunden. Sie machte ab da bis ein Uhr Mittag. Fuhr, wie
            jeder der Angestellten wusste, nach Marburg rein, um im Nero´s,
            einem Lokal in der Frankfurter Straße, eine Kleinigkeit zu essen.
            Sie hatte dort die Arbeitswoche über einen Tisch für sich reserviert.
              Tja, jeden Tag essen gehen, das war ein Luxus, den sich Anna Krä-
            mer nicht leisten konnte. Sie und ihr Mann waren froh, wenn sie sich
            zu so besonderen Tagen wie Geburtstag oder Muttertag ein Essen
            auswärts leisten konnten. Jedenfalls war Anna immer sehr erleich-
            tert, wenn die Chefin nicht da war. Die hatte sie nämlich schon mal
            böse heruntergeputzt. Das war vor drei Monaten gewesen. Anna
            war mit der Arbeit im Büro der Chefin fertig gewesen, säuberte die
            Gästetoilette im Foyer, als über Lautsprecher ihr Name ausgerufen
            wurde. Mit der Bitte, ins Büro der Heimleiterin zu kommen. Nichts
            Gutes ahnend machte Anna sich auf den Weg. Sie nahm die vordere
            Tür über den Flur, die direkt ins Büro der Chefin führte. Sie woll-
            te nicht durch das Sekretariat gehen, da sie dort an den ›Tippsen‹,
            wie sie sie nannte, vorbei musste. Sie klopfte an und wurde her-
            eingebeten. Frau Haupt stand mit verschränkten Armen vor dem
            Papierkorb links von ihrem Schreibtisch. Und was musste Anna da
            sehen? Der Papierkorb war voll bis obenhin. Sie hatte vergessen ihn
            auszuleeren. Da war ihr klar, dass es ein Donnerwetter geben wür-
            de. Na ja, wenigstens gab es keine Zeugen. Sie rechnete nicht mit
            der Gemeinheit der Chefin. Diese öffnete die Tür zum Sekretariat,
            in welchem die Büroangestellten ihre Arbeit verrichteten, damit sie
            sich die Abfuhr anhören konnten.

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