Page 12 - Barbara Naziri: Scheherazades Kinder - Geschichten zu Grenzgängern
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fort und ging leichtfertig und unwissend, wie ich war, eine
Ehe ein, die ein Fiasko wurde. Wir hatten uns nicht allzu
viel zu sagen und trennten uns einvernehmlich nach ein
paar Jahren.
Als ich nach Deutschland zurückkehrte, war Alis Vater
tot. Meine Mutter sagte mir, er sei an gebrochenem Herzen
gestorben, nachdem Ali Baba fortgegangen und nicht zu-
rückgekehrt sei. Keiner wisse, wo er sich aufhielt. So hatte
ich meinen Freund aus Kindertagen endgültig verloren. Die
Jahre vergingen. Ich heiratete noch einmal, wurde glück-
lich, bekam meine Kinder. Ich arbeitete mittlerweile an der
Universitätsbibliothek und mein Beruf machte mir viel
Freude. An Ali dachte ich trotzdem noch ab und zu. So be-
suchte ich mitunter das Grab seines Vaters, das außer mir
wohl keinen Besucher mehr anzog. Es verwilderte zuse-
hends und ich begann, es ein wenig herzurichten. Meinem
Mann hatte ich von Ali erzählt und er besuchte gelegentlich
das Grab mit mir gemeinsam, wenn wir zuvor am Grab
meiner Eltern verweilt hatten. Mein Mann war Iraner wie
Ali und wie mein Vater. Mit ihm konnte ich so ungehemmt
über die vergangenen Jugendstreiche sprechen, die Ali und
ich einst ausgeheckt hatten. Oft lachten wir gemeinsam da-
rüber und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass er
und Ali sich einmal kennenlernen würden.
Eines Tages stand ich auf der Leiter in der Bibliothek, um
einige Bücherstapel auszusortieren, denn die Regale quol-
len über. Die Jahrbücher der Abiturienten von Eliteschulen
nahmen zu viel Platz ein, wurden kaum entliehen und soll-
ten darum entsorgt werden. Beim Sortieren glitt mir ein
Buch aus der Hand. Gerade wollte ich es auf den Stapel
legen, da sah ich, dass es ein Jahrbuch aus Alis Schule war,
und zwar genau sein Jahrgang zum zehnjährigen Jubiläum.
Ich lehnte mich ans Regal und blätterte darin. Die Konter-
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