Page 8 - Barbara Naziri: Scheherazades Kinder - Geschichten zu Grenzgängern
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»Geh mir aus dem Weg, du frecher Neger!« Mir war klar,
dass das Wort Neger hier als Schimpfwort fungierte und ich
war erschrocken, weil ich glaubte, Ali Baba sei nun verletzt.
Doch der tanzte ganz munter um die Lehrerin herum und
sang: »Bin ja gar kein Negerlein«, und das so oft, bis sie
zornig davonstob. Er schien sich vor nichts und nieman-
dem zu fürchten, war wild, wirkte fast ungezähmt. Er nahm
einem jedoch auch so schnell nichts übel. Er konnte austei-
len, aber auch gut einstecken.
Mein Vater hatte inzwischen die nähere Bekanntschaft mit
Ali Babas Vater gemacht und daraus war eine herzliche
Freundschaft entstanden. Als dieser nun das erste Mal mitbe-
kam, wie wir Ali nannten, lachte er laut auf und meinte, dieser
Spitzname treffe wirklich den Nagel auf den Kopf. Der Mullah
war ein gütiger freundlicher Herr und wandelte stets in Kaftan
und Turban durch unsere Gegend. Auf der Straße drehte sich
niemand mehr nach ihm um. Er war allgemein bekannt und
gern gesehen, weil er für jeden ein freundliches Wort oder –
wenn nötig – einen Rat hatte. Ich ging nun auch bei Alis Fa-
milie ein und aus. Seine Mutter sah ich nie ohne Kopftuch. Sie
war eine scheue und warmherzige Frau, deren Lächeln ich in
Alis Zügen wiederfand. Ahmad aber, seinen Bruder, betrach-
tete ich nur mit Ehrfurcht aus der Ferne. Er war viel älter als
wir, hoch aufgeschossen und hatte klare ebenmäßige Züge.
Aber er wirkte irgendwie immer abwesend.
Eines Tages riefen mich meine Eltern in die Bibliothek.
»Daria«, sagte meine Mutter, »du bist nun zehn Jahre alt
und wir würden uns freuen, wenn du dich für eine Glau-
bensrichtung entscheidest.« Bisher hatte ich mir darüber
keine Gedanken gemacht, dass meine Mutter Jüdin und
mein Vater Moslem waren. Sie hatten mich liberal erzogen
und es war nicht in ihrem Sinne, mir ihre Religionen aufzu-
zwingen. Ihre gemeinsame Weltanschauung war offen und
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