Page 7 - Barbara Naziri: Scheherazades Kinder - Geschichten zu Grenzgängern
P. 7
»Ja, den kenne ich«, lächelte mein Vater, »er ist der Imam
der iranischen Gemeinde an der Außenalster und ich kenne
auch Ahmad, deinen Bruder.«
»Ahmad ist schon viel älter als ich«, erwiderte Ali. »Er
geht schon aufs Gymnasium.«
»Nun, Ali Baba«, sagte mein Vater scherzhaft zu ihm,
»wenn du magst, kannst du zum Essen bleiben.« Und Ali
blieb, ebenso der Spitzname, der ihm verliehen worden
war. Mein Vater mochte ihn sofort, auch meine Mutter ent-
deckte ihr Herz für ihn, und bald war er in unserem Hause
ein gern gesehener Gast. Mein jüngerer Bruder, der im Ge-
gensatz zu uns mehr ein ruhiges Naturell besaß und mehr
ein Träumer war, konnte ihn ebenfalls gut leiden. Ali besaß
die wunderbare Gabe, sich auf das Gemüt der Menschen
seiner Umgebung einzustellen.
Ali Baba war ein Unikum. Er schien sich alles spielend
anzueignen, so auch die plattdeutsche Sprache. Wie er-
staunt war ich und wie sehr bewunderte ich ihn, als ich ihn
das erste Mal Platt sprechen hörte. Er sprach es tatsächlich
perfekt, was so manchen aufgrund seines Äußeren verwun-
derte, dem er begegnete. Er liebte es, morgens beim Bäcker
einen »Klönschnack« zu halten, wie er es nannte. Die Bäckers-
frau freute sich jedes Mal, wenn er bei ihr auftauchte. Auch
war er mir ein wunderbarer Zuhörer, wenn ich ihn mit mei-
nen selbst erdachten Geschichten unterhielt und wir ein-
trächtig nebeneinander auf unserem – mittlerweile – ge-
meinsamen Lieblingsbaum saßen und die Beine baumeln
ließen. Ich liebte ihn mittlerweile wie einen zweiten Bruder
und er war mein Held, als er später einmal einer Lehrerin
Kontra bot, die aufgrund ihres autoritären Auftretens bei
allen Schülern sehr unbeliebt war. Er hatte sie auf der Straße
ein bisschen lausbubenhaft geärgert, aber ihre Reaktion
schockte mich dann doch. Sie schrie ihn an:
13