Page 6 - Barbara Naziri: Scheherazades Kinder - Geschichten zu Grenzgängern
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Samt, fast schwarz wie die sternenlose Nacht. Jetzt aller-
dings blitzte der Schalk aus ihnen.
»He du, ich beobachte dich schon eine ganze Weile«,
sprach er mich an. »Das habe ich noch nie gesehen: ein
persisches Mädchen, das eine Jungenhose trägt – mit Ho-
senladen«, lachte er. Es klang nicht gemein, aber es erin-
nerte mich daran, dass es auch eine gezielt erdachte Strafe
meiner Eltern war, diese Hose zu tragen. Sie konnten mich
einfach nicht bändigen, zumal ich lieber mit Jungen als mit
Mädchen spielte. Unmutig betrachtete ich ihn und wollte
zornig etwas entgegnen. Da berührte er mich sanft am
Arm.
»Sei nicht böse, ich wollte dich nicht ärgern. Ich wollte
dich einfach kennenlernen.« Dann hielt er mir strahlend
die Hand hin: »Ich heiße Ali.«
So begann meine Freundschaft mit dem Nachbarsjungen,
der genauso viel Unfug im Kopf hatte wie ich. Bald waren
wir ein unzertrennliches Duo und unser Lachen konnte man
noch in den Nebengärten vernehmen.
Als ich Ali das erste Mal mit nach Hause brachte, mar-
schierte ich schnurstracks in das Arbeitszimmer meines Va-
ters, der tiefgebeugt über seinen Zeichnungen saß. Ich war
ein »Papakind« – vom ersten Moment an. Das heißt nicht,
dass ich meine Mutter weniger liebte, aber meinen Vater
vergötterte ich. Etwas abwesend blickte Papa von seinen
Papieren hoch und direkt in Alis Gesicht, der sich leise
herangeschlichen hatte, um einen Blick auf die Zeichnungen
zu werfen. Papa hob überrascht die Augenbrauen, weil Ali
so gar keine Scheu vor ihm zeigte, denn immerhin war er
eine imposante Erscheinung. Bevor er etwas sagen konnte,
streckte Ali ihm die nicht ganz saubere Hand entgegen: »Ich
heiße Ali und mein Vater ist ein Mullah. Wir wohnen ein
paar Häuser weiter.«
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