Page 9 - Wolfgang A. Gogolin: Als Jesus aus den Wolken fiel
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schloss das Auge wieder und setzte seine Entspannung fort. Zusätzlich
schob er die Arme hinter den Kopf. Ein leichtes Recken. Hanke dagegen
schnappte nach Luft.
»Gülleknecht? Und du … Und du … Und du?«
»Was und ich?«
»Du bist nur ein Fischer und hast wohl Matjes auf den Linsen. Mach
endlich die Augen auf und guck nach da hinten. Das sieht schlimm aus.«
»Meine Güte, bist du heute sabbelig.«
Raik Deters sah sich genötigt, die Hände langsam wieder in Normalposi-
tion zu bringen, sich aufzurichten und die Augen zu öffnen. Stille für einen
Moment. Das unheilvolle Schwingen einer Vorahnung überzog den Deich.
»O ha«, unterbrach der Mann mit der blauen Wollmütze die Stille. Selbst
die beiden trägen Fliegen hörten auf zu schwirren und setzten sich.
»Zum Donner, was ist das?«, fragte der Fischer und Hanke Harms
zuckte mit den Schultern.
***
Goethe sagte einmal Die ganze Welt ist voll armer Teufel, denen mehr oder
weniger angst ist. Er vergaß zu erwähnen, falls er es wörtlich meinte, dass
nicht nur arme Teufel, sondern auch gute Gemüter von Angst überfallen
wurden – und nicht nur menschliche Wesen.
Gretel, Bauer Harms’ schwarzbunte Kuh, riss ein Büschel Gras aus der
dicht am Deich gelegenen Weide. Das Rupfgeräusch mischte sich mit
dem Kreischen der Möwen und dem Heulen des Ostwinds. Die Musik
des Nordlands pfiff beinahe harmonisch über die Wiese. Ihre Schwestern
Nina und Bärbel zupften ebenfalls Nahrung aus dem fetten Boden. Gre-
tel schwenkte den Schwanz. Langweile beim Futtern und eine lästige Flie-
genschwadron, die um ihren Hintern brummte, lösten diesen Reflex aus.
Ein einzelnes Insekt sonderte sich ab. Nahm es mit den Facettenaugen
wahr, dass es gleich von der Schwanzpeitsche erwischt werden würde?
Gerade noch schnell genug änderte die Fliege ihre Richtung. Ein Meis-
terstück der Fliegerkunst. Wohin jetzt? In jedem Fall sollte das Ziel feucht
und klebrig sein. Was bot sich an? Gretels Augen. Landeplatz: Wimpern.
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