Martin Roth: Widerrede

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Martin Roth: "Widerrede" - Eine Familie diskutiert über Populismus, Werte und politisches EngagementAutor: Martin Roth
Format: Taschenbuch, E-Book
Verlag: Verlag der Evangelischen Gesellschaft
Seitenanzahl: 96
Auflage: 1 (August 2017)
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-945369-45-6
Altersempfehlung: Ab 14 Jahre

Klappentext:

Es ging ein Ruck durch Europa, als 2011 Stéphane Hessels Streitschrift „Empört euch!“ erschien, eine Aufforderung der gesellschaftlichen Schläfrigkeit zu widerstehen und sich zu engagieren. Fünf Jahre nach „Empört Euch!“ wird Europa durch Populismus und Nationalismus im Tiefsten erschüttert. Die Fragen, was uns als Europäer eint und wer wir als Europäer sind und wem wir widerstehen müssen, ist drängender denn je.

Martin Roth, ein anderer überzeugter Europäer, hat sich dieser Fragen angenommen. Aber er hat sie nicht für sich alleine beantwortet, sondern seine Kinder miteinbezogen. Eine Familie spricht über Populismus, Werte und politisches Engagement und gibt so dem Ruck seit „Empört Euch!“ eine Richtung – über die Generationen hinweg.

Martin Roth war erfolgreicher Direktor des Victoria and Albert Museum in London. Er verließ England nach dem Brexit, um sich in seiner Heimat Deutschland gegen die antieuropäische Strömungen zu wenden und sich für den Erhalt unserer offenen, freien Gesellschaft einzusetzen. Seine erwachsenen Kinder Clara und Roman studieren in Deutschland und Übersee, Mascha ist Koordinatorin bei der Initiative „Offene Gesellschaft“. Sie verstehen sich als Weltbürger und möchten mit diesem Buch ermutigen, gemeinsam gegen Hetze und Häme aufzubegehren und sich persönlich zu engagieren für den Erhalt von Frieden und Freiheit in Deutschland und Europa.

Martin Roth war diese politische Debatte in der eigenen Familie sehr wichtig. Besonders seit er wusste, wie eng begrenzt die Zeit war, in der er sich selbst noch einmischen konnte. Er wollte erfahren, wie seine Kinder die Welt von morgen gestalten werden. Und er wollte mit diesem Buch die Botschaft senden, engagiert euch, bringt euch ein, redet miteinander!

Am 6. August 2017 ist Martin Roth gestorben. Mit seinem Buch „Widerrede!“ hinterlässt er ein Werk, das sich als politisches Vermächtnis lesen lässt. Damit wird er weit in die Zukunft wirken.

Portrait:

Martin Roth war Kulturwissenschaftler und weltweit bekannt und geachtet. Durch sein großartiges Engagement in Kunst, Kultur und Politik. Er leitete bis zum Brexit-Votum 2016 als erster Deutscher das Victoria and Albert Museums in London und kuratierte bis heute internationale Ausstellungen vonWeltrang. Er verstarb im August mit 2017.

Über den Autor Martin Roth:

Martin Roth (Autor)Martin Roth wurde 1955 in Stuttgart gewboren und verstarb am 6. August 2017 in Berlin. Er war Museumsdirektor, Kulturwissenschaftler und Kulturmanager.

Roth studierte an der Universität Tübingen Empirische Kulturwissenschaft. 1984 schloss er mit einer Magisterarbeit über die Geschichte kulturhistorischer Museen im Nationalsozialismus ab. 1987 wurde Roth in Tübingen mit einer Dissertation über die Geschichte des kulturhistorischen Museums promoviert.

Nach Forschungsaufenthalten an der Maison des Sciences de l’Homme und am Deutschen Historischen Institut in Paris begann Roth 1989 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Museum Berlin. 1991 wurde er Direktor des Deutschen Hygiene-Museums Dresden. Im Jahr 2000 arbeitete er für die Expo 2000 in Hannover. In den Jahren 1995 bis 2003 war Roth zudem Präsident des Deutschen Museumsbundes.

Von 2001 bis 2011 war er Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und seit 2003 Honorarprofessor für Kulturpolitik und Kulturmanagement an der Technischen Universität Dresden.

Vom 1. September 2011 bis 2016 war er Direktor des Victoria and Albert Museum in London.

Am 4. September 2016 wurde bekannt, dass Roth seine Tätigkeit als Direktor des Victoria and Albert Museums zum nächstmöglichen Zeitpunkt beendet. Dabei wurde erklärt, der Abschied geschehe offenbar ohne einen direkten Wechsel auf eine attraktivere berufliche Position.

Roth begründete seinen Weggang mit dem Brexit, den er als persönliche Niederlage empfinde. Er äußerte, die nationalistischen und antieuropäischen Strömungen erforderten ein stärkeres und unmittelbareres Engagement. Es sei Zeit, Farbe zu bekennen.

Martin Roth wurde vom Präsidium des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) in seiner Sitzung am 21. Juni 2016 einstimmig zu seinem neuen ehrenamtlichen Präsidenten gewählt und trat sein Amt am 1. Juli 2017 an. Roth engagierte sich für die Initiative Offene Gesellschaft.

Roth lebte zuletzt in Berlin und war Vater von drei Kindern. Er starb im August 2017 nach kurzer schwerer Krankheit im Kreis seiner Familie im Alter von 62 Jahren in Berlin.

Auszeichnungen:

  • 2008 wurde Roth zum Ritter im französischen Orden Ordre des Arts et des Lettres ernannt.
  • 2010 wurde ihm das Ritterkreuz des Dannebrogordens verliehen.
  • 2017 wurde er zum Ehrensenator der Eberhard Karls Universität Tübingen ernannt.

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Roth

Leseprobe aus dem Buch „Widerrede“:

DESHALB MUSS ICH REDEN

Sie werden sich fragen, warum ich meine Stimme erhebe, warum ich Familien aufrütteln will über die Generationen hinweg. Und warum ich der Meinung bin, dass das Politische, die Wertedebatten und der ehrliche Gedankenaustausch über die gesellschaftspolitischen Weichen, die richtig oder falsch gestellt werden können, unseren Alltag wieder viel mehr durchdringen müssen.

Ich bin überzeugter Europäer. Das hat natürlich auch mit meinem Alter zu tun. Als Deutscher des Jahrgangs 1955 habe ich mir schon als junger Mensch eine andere oder besser: eine zweite sehr starke Identität gesucht. Zuerst war ich Europäer, dann Deutscher. Schon viele Monate vor der finalen Brexit-Entscheidung war mir klar, dass die von Propaganda durchdrungene und verdorbene Diskussion um den Brexit nicht zu vereinbaren ist mit meiner europäischen Identität.

Die Art und Weise des Austritts, wie da mit welchen Lügen und welcher Polemik agiert wurde, gerade von Wendehälsen wie Boris Johnson – das alles war übel und tragisch zugleich. Diese grandiose und ansteckende Dynamik, die von der Welthauptstadt London ausgeht, verliert zwar nicht die Anziehungskraft, auch nicht die Strahlkraft für die Avantgarde. Aber sie basiert mehr und mehr auf einem unseriösen politischen Fundament.

Für mich war London immer eine Stadt, die funktioniert hat: aufregend, lebendig, kosmopolitisch. Und ich habe immer das Gefühl gehabt, dass dann, wenn London funktioniert, es Hoffnung gibt auch für andere Metropolen. Wenn so viele Menschen aus so vielen Ländern relativ friedlich Zusammenleben und zugleich diese Stadt mit diesem Tempo leben und produktiv sein kann, dann ist das übertragbar. Stattdessen hat eine schwer verständliche Aggressivität das Referendum bestimmt, die es – wir müssen ehrlich sein, wenn wir etwas ändern wollen – nicht nur in Großbritannien gibt. Wir erleben sie in Bayern, in Sachsen, nicht nur bei der AfD, bei den Rechtspopulisten und Europa-Gegnern in den Niederlanden, in Frankreich, Österreich, Polen und Ungarn.

Bildung zählt viel zu wenig, Ernsthaftigkeit nicht, Expertentum nicht, Fakten werden einfach weggewischt, Halbahrheiten und Lügen haben Konjunktur. Leute wie Nigel Farage klagen, wie schlimm bei uns alles ist, zugleich sterben im Mittelmeer Menschen zu Tausenden. Wohin sind wir gekommen, wenn die Maßstäbe derart verrutschen!

Direkt vor unseren Augen baut sich ein extrem rechtslastiges Europa auf. Und damit passiert etwas – zum ersten Mal in meinem Leben auf diese Weise -, was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann. Mit einer Geschwindigkeit, dass ich mir die Frage stellen muss: Möglicherweise haben wir, die Europäer mit Herz und Hirn, die einen Kontinent in Frieden für unsere Kinder und Enkelkinder gestalten wollten, plötzlich den Sinn für die Realität verloren. Wo sind unsere christlichen Werte? Die Nächstenliebe?

Begriffe wie Freiheit, Toleranz und Solidarität sind mir heilig. Heilig ist ein großes Wort, aber es geht auch um viel. Ich will nicht akzeptieren, dass Menschen wie Marine Le Pen die künftige Tonlage bestimmen, dass Nationalisten wieder hoffähig sind.

Die Rhetorik in England war so kriegerisch, dass sich jedem vernünftigen Menschen Parallelen zu unserer Geschichte aufdrängen müssen, an die 1920er, 1930er Jahre. Haben da nicht auch viele Menschen gedacht und gesagt: Was da passiert, ist nicht gut, aber so schlimm wird es schon nicht kommen?

Ich habe vor langer Zeit eine Doktorarbeit über die Kulturpolitik der 1920er und 30er Jahre geschrieben. Die unendlich vielen Zeitungsartikel aus den 20er Jahren sind mir immer in Erinnerung geblieben: Dort hatte ich genau das gelesen, was ich in den Brexit-Wochen und bei der Wahl vom Juni 2017 in London erlebte: Stimmung gegen irgendetwas machen, vorpreschen, sich dann dafür entschuldigen, aber andere gehen im Windschatten hinterher, legen eins drauf. So schaukelt sich die Stimmung hoch, irgendwann ist die Entwicklung nicht mehr zu stoppen. Wir wissen, wie das ausging.

Natürlich sind das riskante Vergleiche. Aber wer auffütteln will, muss die vornehme Zurückhaltung aufgeben können. Nur: Wo war die große Aufregung im Herbst 2015, als in Dresden auf der Pegida-Demonstration die Galgen-Attrappen für Angela Merkel und Sigmar Gabriel hochgehalten wurden? Dieses Schweigen macht mich fertig.

Quelle: Widerrede: Lesprobe bei Thalia

Buchempfehlung:

Dieses Buch ist ein letztes Vermächtnis des Kulturwissenschaftlers, Humanisten und überzeugten Europäers Martin Roth. Mit seinen Kindern diskutiert er die drängenden Probleme und aufkeimenden Gefahren unserer Zeit.

Anhand der aktuellen Bedrohungen unserer demokratischen Gesellschaft entfaltet sich ein tief gehender Gedankenaustausch, wobei auch die eigene Familiengeschichte miteinbezogen wird. Das Buch ist ein Bekenntnis zu einem entschlossenen und mutigen Einstehen für Vielfalt, Pluralismus und unsere demokratische Grundordnung, damit wir den autoritären Tendenzen von Rechtsaußen entschieden entgegentreten können.

Die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich und die damit verbundenen Ängste der Menschen werden ebenfalls thematisiert. Sie müssen von der Politik endlich ernst genommen und in Angriff genommen werden, um eine weitere Spaltung unserer Gesellschaft zu unterbinden.

Dieses Werk ist ein entschiedenes Plädoyer für ein geeintes und demokratisches Europa und eine klare Absage an den Irrglauben der Nationalisten und Rechtspopulisten, anstehende Probleme durch Abschottung, Protektionismus und Re-Nationalisierung lösen zu können. Das Buch ist m. E. ganz vorzüglich als Lektüre für den fächerübergreifenden Unterricht und als Unterlage für Extremismusprävention geeignet. Darüber hinaus liefert es ausreichend Stoff für anregende Gespräche im familiären Umfeld. Angesicht der aktuellen Gefahren für Frieden und Wohlstand möchte ich es aus tiefter Überzeigung weiterempfehlen!

[Martin Urbanek]


Deshalb muss ich reden:
Beitrag vom 26. August 2017 in der Sächsischen Zeitung >>>


Martin Roth: Politengagement statt Schweigen

Veröffentlicht am 17.11.2016; Dauer: 04:05

Fünf Jahre lang leitete Martin Roth das renommierte Victoria and Albert Museum in London. Er tat dies sehr erfolgreich: Seine Ausstellungen waren Publikumsmagnete. Umso überraschender kam der Entscheid des Deutschen, sein Amt im Oktober 2016 niederzulegen. Er reagierte damit auf politische Umwälzungen im Zuge des Brexit. Roth will ein Signal setzen: Statt zu schweigen, sollen Kulturschaffende öffentlich Position beziehen – wie er, der aus Protest von einem prestigeträchtigen Posten zurücktrat. Der 61-Jährige will sich fortan politisch stärker engagieren, als er dies als Museumsdirektor konnte.

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