In der sibirischen Kälte – Autobiografisches von Rosa Ananitschev

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Rosa Ananitschev: In der sibirischen Kälte - Autobiografisches (Karina Verlag, 2016)Autorin: Rosa Ananitschev
Format: Taschenbuch; 15,1 x 21,1 cm
Seitenanzahl: 256 Seiten
Verlag: Karina Verlag
Auflage: 1 (Mai 2016)
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3903056855

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Klappentext:

Das kleine Mädchen, …

… das auf dem Coverbild scheinbar so unbeschwert einen Wintertag genießt, hat auf seinem Weg zum Erwachsenwerden viel erlebt. Es ist ein Werdegang mit vielen Hindernissen und Unbillen. Teilweise finden diese ihren Ursprung in der Zeit, der Herkunft und politischen Lage, in der diese Biografie ihren Anfang nimmt: 1954 in einem Dorf in Westsibirien.

Rosa Ananitschev erzählt von Erlebnissen, die ihr besonders gut in Erinnerung geblieben sind: schöne und glückliche, traurige und tragische oder auch solche, die erst im reifen Alter aus der Tiefe aufstiegen und die Geschehnisse ihres Lebens in ganz anderem Licht erscheinen ließen. Die Erkenntnis, was den Depressionen zugrunde liegt, die sie seit ihren Kindheitstagen begleiten, löst zwiespältige Gefühle aus. Es braucht Zeit, bis die Autorin zu der Einsicht kommt, dass die kleine Rosa von damals ein Verschweigen nicht verdient hat, sondern vielmehr die Wahrheit und uneingeschränkte Anerkennung dafür, dass sie trotz allem, was ihr widerfahren war, die Willenskraft besaß, ihren Weg zu gehen.

Vielleicht stellt das Mädchen auf dem Cover die kleine Rosa dar? Gewiss – sie hätte von so herrlicher Winterkleidung nicht einmal zu träumen gewagt … und doch – ihrem Wesen nach ist sie es. Hin und wieder vergaß sie nämlich alles Schwere um sich und in sich, tobte und wirbelte im Schnee umher und fühlte sich leicht und frei – ganz in ihrem Element, ganz in ihrem Universum.

Die Autorin Rosa Ananitschev:

Rosa Ananitschev

Rosa Ananitschev (geb. Schütz) erblickte das Licht der Welt 1954 in einem deutschen Dorf in Westsibirien (Gebiet Omsk). Ende 1992 kam sie mit ihrer Familie nach Deutschland und lebt seither in Hemer im Sauerland. In Russland hatte sie den Beruf Bibliothekarin erlernt und viele Jahre ausgeübt, auch in Deutschland arbeitet sie als Assistentin in einer Stadtbücherei. Die Autorin ist Mutter von zwei Söhnen und Großmutter von zwei Enkelkindern. Sie lebt seit 1997 in gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaft.

Seit Dezember 2010 veröffentlicht Rosa Ananitschev Kurzgeschichten und Autobiografisches in digitaler Form. Sie beteiligte sich auch in Anthologien „Meine erste Geschichte“ und „Katzenland“ des mysteria Verlages. Im April 2014 veröffentlichte sie im Sarturia Verlag ihre Novelle „Andersrum“, die sich mit dem Thema Kindesmissbrauch auseinandersetzt. Zum Band 6 der Reihe „Märchen unterm Regenbogen“ steuerte sie das Märchen „Ich kann ja fliegen!“ bei. 2015 war sie bereits in drei Anthologien (Reihe „Jedes Wort ein Atemzug“) des Karina Verlages mit ihren Kurzgeschichten dabei. In den autobiografischen Texten setzt sich die Autorin intensiv mit ihrer Kindheit und Vergangenheit auseinander. Wie sie selbst sagt, helfe ihr dies ungemein, die Menschen, die Welt und vor allem sich selbst besser zu verstehen.

Rosa Ananitschev ist Mitautorin in verschiedenen Anthologien. Unter anderem wurden 2017 die Kurzgeschichten „Schritte der Einsamkeit“ und „Die Hölle“ in den beiden Anthologiebänden  „Frauen schreiben wundervoll“  veröffentlicht.

Leseprobe aus dem Buch „In der sibirschen Kälte“:

Rosa Ananitschev: In der sibirischen Kälte - Autobiografisches (Karina Verlag, 2016)SCHERBEN:

Ich weiß nicht, woher das kam – Scherben sammeln, wer damit überhaupt angefangen hatte. Es war einfach schon immer so: Mädchen und ihre Scherbensammlungen. Die Jungs schauten auf sie von oben herab, aber insgeheim waren sie doch sehr neugierig und manchmal auch neidisch. Man musste sein Töpfchen mit den Scherben gut hüten und verstecken, um vor ihren langen Fingern sicher zu sein.

Was waren das denn für Scherben? Die Antwort ist einfach – kleine Porzellan- oder Tonscherben verschiedener Größe. Und was war daran so aufregend?

Ich hole mal in Gedanken mein Eimerchen hervor und breite die Schätze auf dem Tisch der Erinnerung aus. Für meine Augen ist es die reinste Pracht. Bescheidener wirken natürlich die weißen Teile, es sei denn, sie besitzen eine außergewöhnliche Form. Mein Blick haftet auch nicht allzu lange an den einfachen, mit einem oder zwei farbigen Streifen verzierten Stücken, sondern verweilt liebevoll bei den schönsten, aufregendsten Exemplaren. Da sind ein paar Scherben mit den hübsch geschwungenen Teilen eines Blumenornaments … Wie mag wohl das Gefäß, zu dem sie einmal gehörten, ausgesehen haben? …

Dies ist ein kostbares Stück mit vollständig erhaltener exotischer Blume; dies eins mit einer halben menschlichen Figur, so seltsam, so fremd – das heil gebliebene Auge gleicht einem Schlitz, die Kleidung – wo trägt man denn so etwas? Ich überlege, wer im Dorf einen solchen Teller oder eine derartige Tasse besessen haben könnte und komme zu dem Schluss, dass die Scherbe gar nicht aus unserem Dorf stammen kann … Unmöglich! Aber woher dann? Und schon ist meine Fantasie in Gang gesetzt …

Bemerkenswert ist auch, wie man so eine Sammlung zusammenbekam. Wie erwähnt, spielten wir Kinder oft auf Baustellen, wo immer eine Scherbe zu finden war. So gefährlich, wie heutzutage in der Stadt, waren diese Orte damals nicht. Da stand höchstens ein einfacher Bagger. Aufregend war es, in die Fundamentgruben hinunterzusteigen oder zwischen den Holz- und Ziegelstapeln wie in einem Labyrinth umherzuirren. Und dabei hielt man auch die Augen offen, jederzeit für eine spannende Scherbenentdeckung bereit.

Die kleine Rosa hatte ihre eigene geheime Quelle – das Kartoffel- und Gemüsefeld hinter dem Haus. Ich wusste, dass man da die wertvollsten Stücke finden konnte. Wie ich zu dieser Überzeugung kam? Ich denke, es lag daran, dass ich beim Unkrauthacken oder während der Kartoffelernte gelegentlich einige Scherben entdeckt hatte. Oder es war die Idee, dass Scherben auch vom Himmel fallen können – als Teile des Tellers eines Außerirdischen. Wer weiß schon, was sich ein Kinderhirn zusammenreimt?

Wegen der großen Schneemassen setzte der Frühling in Sibirien stets langsam ein, verlief dann umso heftiger. Am schnellsten verschwand der Schnee auf dem Kartoffelacker. Darauf wartete ich schon sehnsüchtig, um mit meinen Feldforschungen loszulegen. So war es auch in jenem Frühling 1960, als ich sechs Jahre alt war. Ja, ich hatte meine Bedenken – das gebe ich zu – aber die Erde sah so schwarz, so trocken, so verlockend aus.

Kein Fleckchen Schnee mehr, keine Wasserpfützen. Ich traute mich, und anfangs ging auch alles gut – fast bis zur Mitte des Feldes. Dann spürte ich plötzlich, wie meine Beine immer schwerer wurden und ehe ich mich versah, steckte ich fest. Ich erstarrte vor Schreck, aber der Boden gab mehr und mehr nach. Ich versuchte, ein Bein aus dem Erdreich herauszuziehen. Es gelang mir, allerdings ohne den Gummistiefel – der wollte nicht mit.

Was sollte ich tun? Ich sah mich um – kein Mensch zu sehen. Ich war ganz allein. Mitten im Sumpf! Mich überkam die nackte Panik. Die Vorstellung, in der feuchten Erde zu versinken, war grauenhaft. Ich steckte mein Bein zurück in den Stiefel … und fing an zu schreien …

Rezension zum Buch „In der sibirischen Kälte“

DER WEG ZUR LIEBE …

… ist weit. Quer durch ein pralles Leben.

Zum Cover: Hier ist Detlef Klewer ein Klassiker gelungen: unberührter Schnee und ein glücklich verspieltes Kind, dem es gut geht. Hier die Kälte (Titel/ Sibierien) und da die Wärme (unbeschwerte Kindheit). Dazu noch ein altes Foto, ein russischer Orden. Was wird das Buch erzählen?

Zum Inhalt: Das Buch erzählt in schlichter, dafür um so eindringlicherer Sprache die Geschichte einer Frau, die bei sich angekommen ist. Nach einem langen Weg. Ihre Kindheit in dem kleinen, sibirischen Dorf Schönfeld mit sechs Geschwistern und strenggläubigen Baptisten-Eltern. Alles, was schön war und Spaß machte, war Sünde und nicht erlaubt. Ihre Mutter, die pflichtschuldig ihre Kinder gebar und verköstigte, aber nicht zu Nähe und Liebe fähig war. Nur auf dem Totenbett ein Anflug von zärtlicher Liebe.

Wärme und Lachen in ihrer Kindheit fand die kleine Rosa höchstens ab und zu bei ihrer viel älteren Schwester Aneta. Und ihrer besten Freundin. Schon als Kind war sie depressiv und schüchtern, angeboren oder Reaktion auf die Vergewaltigungen durch ihren erwachsenen Bruder, als sie gerade erst fünf Jahre alt war? Aus Selbstschutz verdrängt das Kind diese Erinnerungen bis ins reife Erwachsenenalter.

Schon vor Schulbeginn endeckt Rosa das geschriebene Wort und ist fasziniert. Sie verschlingt jedes Buch, das sie kriegen kann und fängt gleichzeitig selber an zu schreiben. Eine Begabung. Noch zu Schulzeiten begegnet sie ihrer großen Liebe und heiratet früh. Harte Jahre, wie jede berufstätige Mutter sie kennt, folgen in Omsk, schreckliche Erlebnisse bei einer Fehlgeburt (Kapitel: das Geburtshaus), schließlich Auswanderung nach Deutschland mit ihrem Mann und den beiden Söhnen und Neustart im Sauerland. Dass dieser Neustart auch noch ein ganz unerwarteter Neubeginn ihres Lebens wird, ahnt sie noch nicht. Aber das sollten Sie dann besser selber lesen!

Ich empfehle dieses Buch unbedingt allen Lesern, die gutgeschriebene, außergewöhnliche Biographien schätzen. Ich habe es gleich zweimal nacheinander gelesen, um etwas Abstand zu gewinnen. Es berührt und hält einen gefangen. Man spürt beim Lesen die Nähe zu der Autorin, ihre Ängste, Gefühle, das Entsetzen, als die Erinnerungen so nach uns nach wieder freigegeben werden. Und bewundert sie gleichzeitig: so gebeutelt vom Leben, depressiv, schüchtern- und doch so stark.

Quelle: Rezension von Christel Wismans bei Amazon


Buchtrailer: Frauen schreiben wundervoll – Band zwei vom Apollon Tempel Verlag

Veröffentlicht am 03.12.2017; Dauer: 01:19
Veröffentlicht von Wiebke Worm

Eine besondere Ausschreibung nur für Autorinnen startete zum Weltfrauentag. Die einzige inhaltliche Vorgabe war, dass die Hauptfiguren weiblich sein sollten. Es nahmen profilierte Schriftstellerinnen sowie junge Talente im Alter von 15 bis 87 Jahren teil. Aus ihrer Feder stammen Prosa und Lyrik zu Themen, die Frauen bewegen. Sie schrieben über ihre Sehnsüchte, Hoffnungen, die Familie, den Beruf, das Alter, und selbst der Tod wurde nicht ausgelassen. Heraus kam eine Sammlung von alltäglichen, biografischen, abenteuerlichen, spannenden, märchenhaften, fiktiven, heiteren, traurigen und berührenden Texten. Freuen Sie sich in dem zweiten der drei Bände auf viele Geschichten rund um das Thema Reisen, auch in die Vergangenheit, und geben Sie sich den Wogen der literarischen Kostbarkeiten hin.

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