BORA

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"Bora" von Louis MahrerAutor: Louis Mahrer (+1977)
Kommentator: Robert Streibel
Format: Hardcover
Seitenanzahl: 216 Seiten
Verlag: Bibliothek der Provinz
Auflage: 1 (März 2017)
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3990285565
Altersempfehlung: Ab 14 Jahre

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Klappentext:

Die Erzählung „Bora“ von Louis Mahrer schildert den Widerstand von zwei Wehrmachtssoldaten in Serbien 1943/1944.

Diese Erzählung ist ein Novum in der österreichischen Nachkriegsliteratur, da hier zum ersten Mal der Widerstand von Österreichern gegen das NS Regime in den Reihen der Wehrmacht am Balkan und die Brutalität des Krieges gegen die Partisanen und die Bevölkerung dargestellt wird.

Über den Autor Louis Mahrer und die Hintergründe der Erzählung „Bora“:

Louis Mahrer (Autor)Louis Mahrer, geboren 1917. Studium der Germanistik und Französisch an der Universität Wien.

1940-1945 absolvierte er seinen Kriegsdienst in der deutschen Wehrmacht als Funker. In den Jahren 1945-1947 war er Lehrer an der Handelsakademie in Wien I., ab 1947 bis zu seinem Tod im Jahre 1977 Lehrer an der HTL in Krems .

Bei den Roten Falken politisiert, sympatisierte er nach 1934 mit der illegalen KPÖ und nahmen an Schulungen und Aktionen gegen den Austrofaschimus teil. In den erhaltenen Briefen analysiert er die militärische Lage und die Möglichkeiten, Widerstand zu leisten.

Aus dem Zeitraum von 1939 und 1944 sind Briefe und Karten erhalten. Louis Mahrer, in Frankreich und später im Balkan stationiert, war als Funker tätig und verarbeitete seine Beteiligung im Widerstand in  der Erzählung „Bora”.

Nach 1945 war er in der KPÖ organisiert.

Louis Mahrer und Gerhard Chmiel waren Funkaufklärer und hatten den Partisanen mitgeteilt, dass die die Deutsche Wehrmacht ihr Funkcodes kenne. Mehr als 20 Personen waren im Sommer 1944 verhaftet worden.

Als sie zum Jahreswechsel 1943/44 entdeckten, dass ihre Dienststelle den Chiffriercode der Partisanenverbände geknackt hatte, beschliossen die beiden, diese über Mittelsmänner zu warnen. Angesichts der Massenmorde, die sie in Serbien und davor in der Ukraine miterlebt hatten, fiel ihnen die Entscheidung leicht.

Louis Mahrer wurde entlassen, sein Freund starb. Die Bürde überlebt zu haben trug Louis Mahrer sein ganzes Leben mit sich.

Die knapp 140 seitige Erzählung „Bora“ erschien 1947 und war wohl eine der ersten Geschichten, die ein anderes Bild der Deutschen Wehrmacht gezeichnet hat. Wenige Monate nach dem Erscheinen des Büchleins kam es zum Bruch zwischen Tito und Stalin. Keine gute Zeit für einen österreichischen Kommunisten, eine Geschichte über den Kontakt zu den Partisanen zu schreiben.

Ein Großteil der Auflage des Büchleins landete im Keller von Louis Mahrer. Auch die Verantwortlichen der KPÖ Krems waren nicht besonders angetan, die Geschichte zu verbreiten, derzufolge vielleicht ein Kremser mitgeholfen hatte, Tito das Leben zu retten.

Robert Streibel hat die Neuausgabe, 70 Jahre nach der Erstveröffentlichung und zum 100. Geburtstag des Verfassers, ermöglicht. Er hat sich als einziger außerhalb der Familie schon bisher eingehend mit Louis Mahrer beschäftigt.

Ergänzend zur Neuausgabe führte er seine eigenen und die von Mahrers Kindern angestellten Nachforschungen zusammen, gab die Gespräche wieder, in denen sie sich an den Vater erinnerten, und ergänzte sie durch Auszüge aus einem Arbeitsjournal, das Mahrer während des Krieges und darüber hinaus bis Silvester 1945 geführt hat, mit vielen treffenden, auch erschütternden Eintragungen.

Über den Autor und Kommentator Robert Streibel:

Robert Streibel (Autor)Robert Streibel, geboren am 27.1.1959 in Krems a.d. Donau, ist österreichischer Historiker, Autor und Lyriker.

Er studierte in Wien Geschichte, Germanistik, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte und promovierte bei Erika Weinzierl am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien.

Beruflich ist er seit 1987 im Erwachsenen- und Weiterbildungsbereich beim „Verband Wiener Volksbildung“ für Öffentlichkeitsarbeit tätig. Seit 1999 ist er auch Direktor einer Volkshochschule in Wien Hietzing.

Es gibt zahlreiche Veröffentlichungen von ihm aus historischen Forschungsprojekten zum Nationalsozialismus, zum Judentum und Exil, mit den Schwerpunkten Niederösterreich und seiner Geburtsstadt Krems an der Donau.

Außerdem publizierte er in Literaturzeitschriften, einen Gedichtband und Filme. Er ist freier Mitarbeiter der Wochenzeitung Die Furche (Literaturkritik) und der Tageszeitung Die Presse.

Leseproben aus dem Buch  „Bora“:

Louis Mahrer: Bora (Illustration)In anderen Abschnitten steht es für die Partisanen weit schlimmer. Sie gehen zurück. Der Ring schließt sich um sie – der eiserne Ring des Todes! Die Sprüche sagen es deutlich.

Der nächste und übernächste Tag verengt den Raum des Kessels weiter. Er umschließt nur noch drei Dörfer und einige Höhenzüge. 3600 Kämpfer sind darin und fast ebenso viel Verwundete. Sie liegen im Gebüsch, auf Reisig, in bloßem Schnee. Die Dörfer werden regelmäßig bombardiert. Tiefflieger fetzen den Tod durch die Straßen. Es gibt kaum Arzte. Frauen und Mädchen sind um die Blutenden bemüht, doch es fehlt an Verbandsstoff, an Medikamenten.

Mit Messern und Äxten amputieren sie zerschossene Glieder und hauen Äste ab, um Tragbahren zusammenzufügen. Barfuß, mit dunkelblauen Händen, schleppen sie die Männer durch den Schnee, über Berge, durch Wälder, in Schluchten und Höhlen. Die Funker verschlüsseln ihre Sprüche nicht mehr. Sie sind müde, hungrig und elend.

Hubert Mahrer: Bora (Illustration)Der vierte Tag ist verhältnismäßig ruhig. Die deutsche Führung gruppiert ihre fünffache Überzahl an Truppen um. Der nächste Morgen soll den konzentrischen Angriff und die Liquidierung des Kessels bringen. Der Sieg ist sicher.

Drüben im Gefechtsstand säuft man – da ist alles in Ordnung! Süßer, roter serbischer Wein fließt durch die Kehlen und Oberst Jasper zieht seinen Stiefel aus, füllt ihn bis zum Rand und reicht ihn von Mund zu Mund!

»Das Gesindel ist zu Paaren getrieben!« »Du kannst es nicht ahnen, du schüchternes Rehlein du…«, plärrt mit überanstrengter, mutierender Knabenstimme Leutnant Felix, sein Adjutant und der Wiener Baron von Schwarzerl sagt lächelnd unentwegt vor sich hin, wie eine defekte Grammophonplatte: »Leitln, es seids a Bagage, – a liabe – Leitln, es seids a Bagage – a liabe, Leitln…«, dabei streicht er einem nordischen Junker, an dessen Nase dauernd ein Tröpfchen hängt, über seine spiegelglatte, vom Wein gerötete Glatze, immer wieder, immer wieder, wie ein Kind.

Gerhard und Alfred lösen um sieben Uhr abends ab. »Gebt acht«, sagt der Übergebende, »ein wichtiger Spruch ist angekündigt!« »Schon gut«, sagt Gerhard und stülpt den Kopfhörer über.

Nach einigen Minuten kommt auch noch der Entzifferer: »Schmiel, pass auf, axo, der Korpsstab gibt noch einen Sammelspruch an alle unterstellten Partisaneneinheiten. Vielleicht bereiten sie einen Ausbruch vor!«

»Was kommt, nehm ich auf! Wenn nichts kommt, nichts! Bin doch als einer der besten Horcher bekannt! Lasst mich in Ruh!« Der Entzifferer geht zurück in den Nebenraum. »Gerhard«, flüstert Alfred.

Der schiebt den Kopfhörer etwas vom Ohr: »Ha?« »Wieviel sind drüben im Kessel?« »Sechs oder sieben Tausend, sagen sie.« »Sie kämpfen für ihre Freiheit!«

»Hm«, Gerhard nickt sinnend. Es ist niemand sonst im Zimmer. Alfred schaltet rasch auf Telefonie um, verlässt seine Welle und hört London.

Erfolge gegen die Deutschen an allen Fronten! Die Rote Armee rückt weiter vor. Mehrere Orte sind wieder genommen. Großangriff auf Köln! Zwei U-Boote versenkt. Er teilt die Neuigkeiten seinem Freund mit.

»Den Spruch kriegns net!«, sagt Gerhard entschlossen. Alfreds Augen erglänzen! Tadelloser Kerl, der Gerhard! Furchtlos! Wenn sie ihm draufkämen -.

Nach einer Weile zieht Gerhard den Hörer vom Kopf und hält ihn an Alfreds Ohr. Mit schnarrendem Ton – Zeichen größter Nähe der Funkstelle – gibt einer Gruppe um Gruppe, Zahlen, viele, viele Zahlen, den so dringend erwarteten Spruch, den Befehl für die Nacht!

Und mit mokantem Lächeln schreibt Gerhard auf sein Papier: »xs! Starke Luftstörungen! Frequenz von fremden Sendern überlagert! Aufnahme unmöglich!« Der Entzifferer wartet – nichts! Der 1 c ruft an – nichts!

Gerhard isst Äpfel, einen nach dem ändern, lächelnd und froh! Er poliert sie an der Hose, er schneidet sie in Spalten, er entfernt mit spielerischer Sorgfalt das Kernhaus – er weiß: In dieser Nacht kommt nichts mehr, denn er hat auch das Schlusssignal nicht eingetragen: »qrx übermorgen 0800 sk sk.« Schluss bis übermorgen – wenn alles gelingt!

Am nächsten Morgen stürmen, von Panzern unterstützt, zwei Regimenter den Pass! Sie treffen auf keinen Widerstand. Die Stellungen sind leer, überall sonst ist es ebenso. Im Dorf O. stößt man von allen Seiten zusammen. Es ist menschenleer.

Man durchkämmt die Wälder, die Schluchten und die Hütten der Hirten. Überall Spuren von Blut, von Maultieren, von nackten Bauernfüßen …

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Louis Mahrer: Bora (Leseprobe im Flipbook)

Eine Empfehlung zum Buch „Bora“:

Ein Werk wie dieses über den Widerstand zweier Wehrmachtssoldaten hat es bisher in der österreichischen Nachkriegsliteratur nicht gegeben. Es gibt uns ein klares, ungeschöntes Bild von den Vorgängen im besetzten Jugoslawien und es zeugt vom Mut und Verantwortungsbewusstsein seiner Protagonisten, die auf real existierenden Personen und Ereignissen beruhen.

„Bora“ ist vor allem hinsichtlich der Handlung und ihrer moralischen Dimension ein absolut eindringliches Zeugnis der Zeitgeschichte. Manchen „Pflichterfüllern“ mag diese Lektüre unerträglich gewesen sein, weil sie, erstmals in Romanform, wieder einmal mit dem Mythos von der relativ „sauberen“ Wehrmacht (im Gegensatz zur verbrecherischen SS) aufräumt. Die Truppen haben den Mördern und Folterknechten vor Ort bei ihren Vergeltungsaktionen Beistand geleistet.

Manchmal wünscht man sich, der Erzähler hätte die eine oder andere Szene erfunden. Aber dem ist nicht so, es sind erschütternde Dokumente eines Augenzeugen von unglaublicher Brutalität und Grausamkeit. Der ungeschminkte Schreibstil des Erzählers wird den Handlungen der Geschichte durchaus gerecht.

Angesichts des aktuell wieder zu beobachtende Aufstiegs von Rechtsdemagogen und Geschichtsrevisionisten sowie der zunehmende Radikalisierung der Sprache, auf die dann sehr rasch Taten folgen könnten, möchte ich dieses Buch auch als Klassenlektüre bzw. als Grundlage für Unterrichtsprojekte und weiterführende Diskussionen empfehlen. Dies, obwohl es für schwache Nerven eine gewisse Herausforderung darstellt.

Aber wie sollte man das Geschehene auch anders in Texte fassen? Da gibt es wohl nichts zu beschönigen und schon gar nichts zu Verharmlosen!


Ich will die Sonne sehen (Video über „Bora“)

Ein Film von Robert Streibel über Louis Mahrers Erzählung „Bora“ und den Widerstand zweier Wehrmachtssoldaten in Serbien 1943/1944

Veröffentlicht am 30. 04. 2017; Dauer: 18:35

Bora: Eröffnung Galerie Kultur Mitte

Am 28.4.2017 wurde in der Galerie Kultur Mitte in Krems die Neuauflage der Erzählung „Bora“ (Verlag Bibliothek der Provinz), die Ausstellung zum Buch und der Film von Gerhard Pazderka und Robert Streibel „Ich will die Sonne sehen“ präsentiert.

Es sprachen der Bügermeister von Krems Dr. Reinhard Resch sowie der Historiker Dr Robert Streibel, es las Eva Richter-Mahrer.

Veröffentlicht am 01. 05. 2017; Dauer: 1:09:13

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