Gegen das Verdrängen und Vergessen: Virtuelle Eröffnung eines Gedenkraums an das NS-Gefangenenlager STALAG XVII B in Gneixendorf

0

Die wenigsten wissen, dass sich auf dem Gelände des heutigen Flughafens von Gneixendorf bei Krems eines der größten Kriegsgefangenenlager des „Dritten Reiches“ befand. Sämtliche oberirdischen Spuren des Lagers mit der Bezeichnung „STALAG XVII B“ wurden sorgfältig entfernt. Zeitweise wurden dort bis zu 66.000 Kriegsgefangene unterschiedlichster Nationen interniert. Etwa 2000 Gefangene kamen in dem Lager aufgrund von Seuchen und Mangelernährung ums Leben. Jetzt haben der Historiker Dr. Robert Streibel und Mag. Günther Stockinger einen Gedenkraum eingerichtet und wollen weitere Initiativen zur Unterschutzstellung der archäologischen Überreste des Lagers setzen.

Überreste des Kriegsgefangenenlagers Stalag XVIIB bei Gneixendorf

Überreste des Kriegsgefangenenlagers Stalag XVIIB bei Gneixendorf

Aufgrund der Corona-Pandemie fand die Eröffnung des Gedenkraums im Gasthaus Walzer in Gneixendorf nur in Anwesenheit der Initiatoren Dr. Robert Streibel und Mag. Günther Stockinger sowie der Betreiber*innen der Gaststätte, Alexander und Cristina Lintner, statt und wurde per Video aufgezeichnet. Sobald als möglich soll der Raum mit seinen Schautafeln und Videoscreens der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Dabei wurde ganz besonders an die überlebenden Häftlinge und deren Angehörige aus aller Welt gedacht, für die nun endlich eine angemessene Anlaufstelle für die Besichtigung des Lagerareals geschaffen wurde.

Dr. Robert Streibel und Mag. Günther Stockinger

Dr. Robert Streibel und Mag. Günther Stockinger

Alexander und Cristina Lintner

Alexander und Cristina Lintner

Virtuelle Eröffnung des Gedenkraums:


Über das NS-Gefangenenlager STALAG XVII B in Gneixendorf:

Das Kriegsgefangenen-Mannschaftsstammlager (Stalag) XVII B Krems-Gneixendorf war während des Zweiten Weltkriegs das größte Kriegsgefangenenlager auf dem Gebiet des heutigen Österreich (zur NS-Zeit Ostmark/Reichsgau Niederdonau). Seine Gründung erfolgte am 26. Oktober 1939. Die Bezeichnung des Lagers ergab sich aus der römischen Ziffer des zuständigen Wehrkreises, einem in der Reihenfolge der Aufstellung fortlaufenden Großbuchstaben sowie dem Namen der nächsten Ortschaft.

Haupttor und zentrale Lagerstraße in Krems-Gneixendorf

Haupttor und zentrale Lagerstraße in Krems-Gneixendorf

Die Behandlung der Gefangenen unterschiedlicher Nationalitäten war von rassisch-ideologischen Motiven geprägt. In Stalag XVII B waren zeitweise bis zu 66.000 Kriegsgefangene unterschiedlichster Nationalität interniert, darunter Franzosen, Briten, sowjetische Kriegsgefangene, Belgier, Serben, Polen und italienische Militärangehörige. Sowjetische Kriegsgefangene standen an unterster Stelle der Gefangenenhierarchie. Sie durften keine Briefe schreiben und erhielten keine Hilfspakete. Die sowjetischen Soldaten waren allgemein in schlechterer gesundheitlicher Verfassung, sie wurden von der Betreuung durch internationale Hilfsorganisationen ausgeschlossen. Etwa 2.000 sowjetische Kriegsgefangene starben aufgrund von Krankheiten und der schlechten Behandlung. Sie wurden im Lagerfriedhof, dem sogenannten „Russenwaldl“ begraben.

Viele sowjetische Kriegsgefangene starben an Unterernährung

Slawenfeindlichkeit: Viele sowjetische Kriegsgefangene starben an Unterernährung.

Im Oktober 1943 wurde für etwa 4.300 amerikanischen Fliegerunteroffiziere ein eigenes „Teillager der Luftwaffe“ eingerichtet. Die leichteren Haftbedingungen für Luftwaffenoffiziere aus den USA ermöglichte Sportveranstaltungen und kulturelle Aktivitäten. Hier entstanden unter anderem das Theaterstück „Stalag 17“, die literarische Vorlage für Billy Wilders gleichnamigen Spielfilm, sowie zahlreiche Gedichte, Zeichnungen und Lagerzeitungen.

„Stalag 17“ - Spielfilm von Billy Wilder (1953)

„Stalag 17“ – Spielfilm von Billy Wilder (1953)

Organisationsbedingt gliederte sich das Lager in mehrere Areale: Der Verwaltungsbereich bestand aus Büros für die Lagerführung und Abwehrgruppe, einem Gefängnis, Unterkünften für Ärzte sowie Quarantänebaracken für Neuankömmlinge. Anschließend im Osten befanden sich die Baracken des Häftlingsbereichs. Ein etwa ein Kilometer entferntes Truppenlager diente als Unterkunft für die Wachmannschaft.

Luftbilder vom 20. 4. 1945 mit den Bereichen der Grabungen 2018 und 2019

Luftbilder vom 20. 4. 1945 mit den Bereichen der Grabungen 2018 und 2019

Die Unterbringung der Gefangenen erfolgte in Holzbaracken, die in der Mitte durch einen Waschraum mit sechs Waschbecken zweigeteilt waren. Neben Stockbetten mit drei Etagen waren einige Tische und Stühle vorhanden. Als Matratzen dienten mit Stroh gefüllte Säcke, die gemeinsam mit den allgemein schlechten hygienischen Bedingungen zu einer regelrechten Ungezieferplage beitrugen.

Unbekannter Zeichner aus dem STALAG XVII B (Archiv Robert Streibel)

Unbekannter Zeichner aus dem STALAG XVII B (Archiv Robert Streibel)

Das Lager wurde am 9. Mai 1945 von der Roten Armee befreit und diente nach der Repatriierung der ehemaligen Lagerinsassen vorübergehend als Unterbringung für sowjetische Besatzungssoldaten. Bald nach Kriegsende wurden die Baracken abgerissen und das Lagerareal dem Erdboden gleichgemacht.

Weiterführende Literatur zum Thema Stalag XVII B:

Im Jahr 1989 wurde zum ersten Mal von Robert Streibel die Geschichte in einem umfangreichen Artikel in der Zeitschrift „Das Waldviertel“ thematisiert. Im Jahr 2000 veröffentlichte Barbara Stelzl-Marx ihre Dissertation unter dem Titel „Zwischen Fiktion und Zeitzeugenschaft“ und gab 2003 auch die Erinnerungen von Dmitrij Čirov heraus. Die Erinnerungsliteratur amerikanischer
Flieger (hier eine Auswahl) erschien bereits ab 1946.

 Stalag XVII B: Weiterführende Literatur

Karikaturen von US-amerikanischen Gefangenen aus dem Stalag XVII B:

Karikatur aus dem STALAG XVII B (Archiv Robert Streibel)

© Archiv Robert Streibel

Karikatur aus dem STALAG XVII B (Archiv Robert Streibel)

© Archiv Robert Streibel

Karikatur aus dem STALAG XVII B (Archiv Robert Streibel)

© Archiv Robert Streibel

Über den Spielfilm „Stalag 17“:

Stalag 17 ist ein US-amerikanischer Kriegsfilm unter Regie von Billy Wilder aus dem Jahre 1953. Es ist der erste amerikanische Film nach dem Zweiten Weltkrieg, der zwar den Krieg zum Thema hat, aber nicht von Schlachten und Siegen handelt, sondern von Amerikanern in einem deutschen Kriegsgefangenenlager (Stalag).

Der Film geht auf ein Theaterstück von Donald Bevan und Edmund Trzcinski zurück, die als Kriegsgefangene des Zweiten Weltkrieges im STALAG XVII B Krems-Gneixendorf in Krems an der Donau in Niederösterreich interniert waren.

1951–1952 lief das Stück am Broadway. Als die Paramount Studios den Film auch in Deutschland herausbringen wollten, beschloss die Studioleitung, in der deutschsprachigen Fassung aus dem Verräter einen Polen zu machen, um den Film dem deutschen Publikum leichter verdaulich zu machen. Man teilte dies Wilder während der Dreharbeiten in Paris zu „Ariane – Liebe am Nachmittag“ schriftlich mit. Nach Wilders energischem Protest ließ man diese Idee zwar wieder fallen. Wilder, der einen Großteil seiner Familie im Holocaust verloren hatte, verlangte aber noch eine formelle Entschuldigung für dieses taktlose Ansinnen. Als sie ausblieb, machte er danach nie wieder einen Film für Paramount.

Wilders österreichstämmiger Regisseurkollege Otto Preminger spielt den Lagerkommandanten Oberst von Scherbach.

Hier der Film in voller Länge auf YouTube:


Der Gedenkraum im Gasthaus Walzer in Gneixedorf wurde von Prof. Dr. Robert Streibel und Mag. Günther Stockinger konzipiert und umgesetzt.

Mitarbeit:

Univ.-Prof. Mag. Dr. phil. Barbara Stelzl-Marx und die Schülerinnen und Schüler der HLF (Xaver Heigl, Helene Moser, Sebastian Siebenhandl und Victoria Teuschl).

Adresse des Gedenkraums:

GASTHAUS WALZER (Familie Lintner)
Gneixendorfer Hauptstraße 28, 3500 Gneixendorf
Telefon: 02732 48004 · info@gasthaus-walzer.at ·
www.gasthaus-walzer.at
Mo–So: 11:30–14:00 (So bis 14:30 Uhr)

Historische Anfragen zum Gedenkraum:
r.streibel@utanet.at


Mit Unterstützung des Zukunftsfonds der Republik Österreich und der Stadt Krems.

 

 

Share.

About Author

Leave A Reply